„Gut, dass ich geduscht habe!“ Was man für einen Quatsch denkt, wenn es auf einmal ernst wird…
Als mir das auf dem Weg zum Einkaufen durch den Kopf geht, kommt mir irgendetwas seltsam vor. Dieser Schmerz hinter dem Brustbein, das einschnürende Gefühl im Brustkorb, die Schmerzen, die in Hals und Oberkiefer ausstrahlen. Nicht dass es mich zu Boden geworfen hätte, aber so etwas hatte ich noch nie erlebt. Soll ich lieber wieder zurückgehen?
24 Stunden später liege ich auf der Pain Chest Unit eines Krankenhauses, versorgt mit zwei Stents im vorderen Herzkranzgefäß und rund um die Uhr überwacht.
INHALTSVERZEICHNIS
Bauchgefühl
Trügerische Langeweile
NSTEMI – Unsichtbarer Feind
Mit Blaulicht durch Köln
Chest-Pain-Unit
Bauchgefühl
What?? Ich bin doch kein Risikopatient! Normalgewichtig, Nichtraucher, wenig Fleisch auf der Speisekarte und oft zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs. Und jetzt das.
Wie konnte es so weit kommen?
Gab es Vorzeichen?
Warum hat die niemand richtig gedeutet?
Plötzlich wird mir warm. Ich löse meinen Schal. An der Bank—Filiale ist doch ein Thermometer. Ist es vielleicht wärmer geworden? Siehe da, 7°C. „Das ist ja mal ne richtige Hitzewelle, so Anfang Januar!“, beruhige ich mich und mein seltsames Wärmegefühl.
Die Schmerzen verschwinden zunächst. Im Supermarkt denke ich: „Jetzt auch noch mit Maske!“ Seit neuestem sollen es FFP2—Masken sein, die Corona-Zahlen steigen. „Sooo gut Luft bekommt man damit ja nicht“, denke ich noch, als würde es an der Maske liegen.
Kurz bevor ich unsere Haustüre erreiche, geht es wieder los, aber nicht so stark.
„Ich will dir ja keine Sorgen machen“, sage ich zu meiner Frau, „aber irgendwas ist komisch.“
„Sollen wir lieber ins Krankenhaus fahren?“
„Ich leg‘ mich erst mal auf die Couch.“
Das ungute Gefühl lässt mich nicht los.
„Ich glaube, es ist besser.“
Trügerische Langeweile
Wir sind uns einig, nicht ins Krankenhaus unserer Kleinstadt, sondern gleich nach Köln in ein renommiertes Haus. Schnell packt meine Frau ein paar Sachen in die grüne Retro—Sporttasche und los geht‘s nach Hohenlind. Frida, unser junger Hund, fährt mit. So schnell können wir sie nicht wegorganisieren.
Am Haupteingang verabschieden wir uns. Was ich nicht ahne: Ab jetzt bin ich für fünf Tage auf mich allein gestellt.
In der Notaufnahme werde ich zügig von einem netten Pfleger erstuntersucht. Er macht ein EKG, misst den Blutdruck, nimmt welches ab. Man wolle die Herzenzyme überprüfen. EKG unauffällig, Blutwerte dauern etwas. Ich werde aufgerufen, sagt er mir. Und warte zwei Stunden. Klar, Notfälle gehen vor.
„War wohl wieder falscher Alarm“, denke ich und fühle mich niedergeschlagen. Wie so oft in letzter Zeit, als mir auch im Job manchmal die Kraft fehlte. Dagegen sollte ich langsam was tun. Was spielte eigentlich Johnny Thunders für eine Gitarre? Gibson Les Paul TV Yellow! Im Internet gibt‘s auf alles eine Antwort.
Wie bitte? Ich glaub‘, ich hör‘ nicht recht!
Endlich werde ich aufgerufen. Als die Internistin meine Blutwerte sieht, wiegt sie mit hochgezogenen Augenbrauen ihren Kopf hin und her. Ein Blutenzym sei stark angestiegen. Das deute auf einen Herzinfarkt hin.
NSTEMI – Unsichtbarer Feind
Zum ersten Mal höre ich „NSTEMI“. Ein Herzinfarkt, der sich im Unterschied zum „STEMI“ nicht im EKG bemerkbar macht, sondern nur anhand der Symptome und der Laborwerte diagnostiziert werden kann. Die Blutwerte werden ein zweites Mal geprüft und man legt mir einen „Zugang“. Es scheint ernst zu sein.
Halt dich fest!
„Halt dich fest. Laut Laborwerten ist es ein Infarkt. Das Ausmaß wird mit einer Herzkatheteruntersuchung festgestellt. Komme jetzt ins Vinzenzkrankenhaus.“
Die Internistin bestätigt mir auf meine erstaunte Nachfrage, dass ich aufgrund der Befunde einen Herzinfarkt habe. Der Troponin—Wert (ein Enzym, das auf die Sauerstoff-Unterversorgung des Herzgewebes hinweist) ist nochmals gestiegen. Es scheint aber kein schwerer Infarkt zu sein. Die anderen Herzenzyme, die darüber etwas aussagen, seien normal.
Die Behandlung müsse in einem anderen Krankenhaus fortgesetzt werden, da es hier keine Kardiologie gäbe. Ich solle mich schon mal auf eine Herzkatheter—Untersuchung einstellen. Der Rettungswagen sei bestellt.
#2 Lebensdraht
Wie ein winziges Röhrchen mein Leben verändert
Die Vorstellung kam mir immer seltsam bizarr vor, dass einem ein Draht ins Herz geschoben wird. Bei diesem Wort fallen mir sofort die Rollen zäh flexibler Metallfäden ein, die früher bei meinem Vater in der Werkstatt hingen. Und dann noch bei örtlicher Betäubung!
Ich bekomme eine Infusion mit blutverdünnenden Mitteln. Die Krankenschwester fragt ungläubig bei der Ärztin nach, ob die Höhe der Dosis richtig sei? So viel hätte sie ja noch nie gegeben.
Ab diesem Zeitpunkt werde ich nur noch geschoben oder getragen, bewege mich höchstens zur Toilette selbstständig.
Mit Blaulicht durch Köln
Mit Blaulicht geht es ins Kölner Vinzenz Krankenhaus. Ankunft in der Notaufnahme. „Der NSTEMI (das bin ich) ist da!“, gibt der wachhabende Pfleger telefonisch durch.
Ich komme in eine angenehm unaufgeregte und freundliche Atmosphäre. Alle sind sehr nett und aufmerksam. Wieder Untersuchungen, der obligatorische Corona —Test, ein weiterer Zugang. Die Ärztin in der Notaufnahme klärt mich über den Herzkatheter— Eingriff auf. Der Draht, der in meine Arterie geschoben wird, sei halb so dick wie die Mine ihres Kugelschreibers, den sie mir vor die Nase hält, was mich nur mäßig beruhigt.
Der Eingriff sei erst für den nächsten Tag geplant. Dann könne man das in aller Ruhe machen. Nach einem Herzinfarkt habe man 36 Stunden Zeit zu reagieren.
Herzinfarkt und Chest Pain Unit
Dann noch eine Röntgenaufnahme und ich komme in die Chest Pain Unit. Das ist eine besondere Abteilung für Patienten mit unklaren Brustschmerzen, die hier rund um die Uhr überwacht werden und im Notfall schnell mit einem Herz-Katheter untersucht werden können.
Ich werde an ein mobiles EKG angeschlossen, das mich die nächsten Tage ununterbrochen begleiten wird. Und ich bekomme um 22.00 Uhr endlich was zu essen. Eine besonders dicke Gurke ist auch dabei.
LIES AUCH:
→ #2 Lebensdraht – Wie ein winziges Röhrchen mein Leben verändert
→ #3 „Wo laden Sie Ihre Akkus auf?“ – Stress macht auch dem Herz zu schaffen
→ #4 Was macht uns eigentlich so sicher?